Timm Ulrichs

Timm Ulrichs

Über die allmähliche Verfertigung der Bilder beim Malen

Zur Ausstellung “Unsagbar schön. Malerei“ von Udo Scheel, Galerie Alexandra Rockelmann Berlin, 04.09 – 24.10. 2009

Lieber Herr Kollege und Freund Udo Scheel, liebe Alexandra Rockelmann, liebe Gäste,

dass die Einladungskarte zu einer Ausstellungseröffnung verspricht, der Künstler sei (körperlich und geistig) anwesend, ist durchaus gängige Praxis; dass sie aber einen Redner ankündigt, der Worte zu einer Malerei zu machen hat, die angeblich “unsagbar schön“ sei, verwundert schon eher. Denn was unsagbar-unbeschreiblich ist, müsste ja wohl einem Laudator die Sprache verschlagen und ihm ein Wittgensteinsches Schweigen auferlegen. Aber unser Künstler wird sicherlich abwinken: So sei das nicht gemeint; vielmehr gelte es, bereits im Titel der Schau ein Bekenntnis abzulegen zur Schönheit der Malerei, die allemal ein Fest sein dürfte, eine Augenweide. Das behauptet Udo Scheel ja seit nunmehr einem halben Jahrhundert. Bedenken Sie bitte, dass vor einigen Jahrzehnten, als unser Autor sein Werk zu entfalten begann, das Bild-Schöne in den sogenannten tonangebenden Kreisen als verpönt galt. Zwar wußte der Designer Raymond Loewy: “Hässlichkeit verkauft sich schlecht“; für die Bildende Kunst allerdings hatte dies Wort keine Gültigkeit, im Gegenteil: Der Befund, etwas sei “zu schön, um wahr zu sein“, kam einem Schuldspruch gleich, und Zustimmung äußerte sich gern in der Meinung, etwas sei “zu wahr, um schön sein“ zu können.

Ich will hier nicht entscheiden, ob “ungeschminkte“ Wahrheiten den „geschminkten“ immer vorzuziehen seien, – aber diese Urteile und Vorurteile bilden den Hintergrund, vor dem die sanfte Provokation Udo Scheels sich abhebt. Und dieser Maler hat diese Haltung zur Kunst, zur Malerei immerhin fünf Jahrzehnte nun durchgehalten, beharrlich, aber nicht starrsinnig, seinem inneren Kompass, seinem Stern folgend, immer bereit, außer dem Hauptweg auch Nebenwege zu erkunden. So ist ein weit verzweigtes und auch im materiellen Bestand außerordentlich umfangreiches Oeuvre erwachsen, das hier nur ausschnittweise uns vor die Augen treten kann. Und noch eine Bemerkung sei dieser Vorrede hinzugefügt: Dass es neben der vielzitierten und marktbeherrschenden “Leipziger Schule“ seit vielen Jahren eine allemal gleichrangige “Münstersche Schule“ der Malerei gibt, verdankt sich im wesentlichen, nein: allein Udo Scheel. Leider hat sich dieser Sachverhalt noch nicht herumgesprochen: ein immenser Fehler der Kunstpublizistik und ein großer Mangel und Makel der Kunstwelt. Darüber müsste an anderer Stelle verhandelt werden als hier und heute.

Noch ein weiterer Charakterzug Udo Scheels – neben seinem zwar von Zweifeln und Skrupeln durchzogenem, aber immer wieder sein Zentrum findendem Durchhaltevermögen – ist seine große Unabhängigkeit, die sich zeigt in seiner Verteidigung einer Position, die sich allen Lagerkämpfen zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher Malerei verweigert. Galt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein ausschließendes “Entweder- Oder“ (wobei eine gegenstandsgebundene Malerei als unmodern galt), hat Udo Scheel von Anfang an souverän zu einem “Sowohl- Als auch“ sich bekannt, was für lange Zeiten als sträfliche Unentschiedenheit betrachtet wurde und was viele Kritiker unserem Autor verübelt haben. Er hat, wie Buridans Esel, sich zwischen beiden Möglichkeiten angesiedelt, man kann auch sagen: seinen Platz zwischen den Stühlen gefunden und sich da eigensinnig-eigenwillig eingerichtet. Der Dank dafür ist ein unüberschaubar, unübersehbar reiches Werk, das, da keiner Schule verpflichtet, nur selbst Schule machen kann und konnte.

Udo Scheel war – das dürfte somit klar sein – nie ein Programmkünstler; nie hat er Gruppierungen sich angeschlossen; und es ist auch nur ein einziges Mal geschehen, dass er sich zu einer Art Manifest hat mitreißen lassen, zusammen mit dem Künstlerverbund “Axiom“, in dem ich eher den Status eines Freundeskreises denn einer Gruppe erfüllt sehe. Scheel ist immer Einzelgänger gewesen und geblieben, was nicht heißt, dass er nicht vielfältigste Kenntnisse und Erfahrungen in sein Werk hat einfließen lassen und seinen Schülern hat weitergeben können. Ohne die oft benannte “Gottähnlichkeitstendenz“ der Künstler – meist eher Anspruch als Einlösung derselben – zu diskutieren: Auch Gott war ein Einzelkämpfer und Einzeltäter! Und ähnlich muß man sich unseren Künstler vorstellen, wenn er vor der leeren Leinwand steht und sein Geist über den Malwassern schwebt. Präzis vorgefasste Ideen gibt es nicht, wohl aber den Wunsch zum Bild, einen Willen zur Form (und zur Unform, zum Informel) und nicht zuletzt die Lust am Malprozess, so quälend sich dieser dann auch gestalten mag, – mit Ausdruckszwängen hat all das nichts zu tun. Wo der Keim eines Bildes zu suchen und zu finden ist, kann im nach hinein kaum bestimmt werden; vielmehr dürfte es sich wohl verhalten wie bei Kleists Bemerkung von der “allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“: Irgendwo findet sich ein Ansatzpunkt, ein Fleck, ein rudimentärer Gegenstand, der fortgesponnen wird zu einem – wie Udo Scheel selbst sagt “Netzwerk“, wo das eine das andere zeugt und gebiert. Bildideen kommen und gehen, verknüpfen sich, wuchern, verwandeln sich, werden mitunter auch wieder getilgt, wenn sie der Bildentwicklung nicht mehr förderlich erscheinen. Was zunächst zum erkenn- und benennbaren Gegenstand drängt, erfährt in derartigen Prozessen der Auflösung und Verwischung oft eine unerwartete Steigerung insofern, als Malerei dann ganz zu sich selbst kommt und sich selbst feiert. Was von all dem, das der Künstler in Szene setzt, bewusst oder unbewusst seinen Platz findet, ist für den Betrachter kaum je entscheidbar, womöglich auch für den Autor nicht immer. Selbst wenn Autobiographisches mitspielen mag: Illustrationen literarischer Art und entzifferbare Tagebuchnotizen sind es nicht, die wir zu Gesicht bekommen. Trotz identifizierbarer Gegenstände und Personage, trotz Perspektive und Illusionismen aller Art: die Bilder geben sich stets als Gemachtes zu erkennen, als arrangierte Bildbühnen, als Welt-Theater. Das Bild ist (und bleibt) ein Bild; aber es wäre nicht ein Scheelsches Bild, wenn es diese Deutlichkeit im Faktischen – Öl auf Leinwand, Leinwand unter Öl, offene, unbemalte Partien, Fragmente und vermeintliche Fehler – nicht zugleich unterliefe, indem es immer auch ein Mehr an Bedeutung und deren Infragestellung vorführte. Zwar behauptet der Maler: “Ähnlich wie die Feder habe ich den Fisch entdeckt als eine lang gestreckte Form von begrenzter Plastizität, von einer bestimmten Farbigkeit und auch von einer gewissen Ausdruckskraft, so dass ich es für richtig hielt, diesen Fisch einer imaginären Bildlandschaft einzufügen“ – ich vermag dieser allzu einschränkenden, rationalen Erklärung nicht ganz zu folgen und halte sie für ein Scheelsches understatement, das einer Bildauslegung sich widersetzt, die glauben machen möchte, man könne ein Bild verstehen und auflösen wie ein Kreuzworträtsel. Schauen wir uns daher beispielweise das Bild “Unter der Linie“ von 2005 an : Die beiden großen Fische unter der Wasserlinie in ihrer Dunkelheit, Lautlosigkeit, in ihrer wässrigen Lebenswelt sind auf jeden Fall mehr als bloße Bildgegenstände; es sind dies unheimliche Botschafter des Unbewussten, in anderen Bildern gar behaftet mit erotisch-sexuellen Anspielungen, keineswegs eindeutig, sondern zweideutig, mehrdeutig und nicht ganz geheuer. Und gleiches gilt auch für das weitere Repertoire von Udo Scheel: die Hunde, die Vögel, die Boote und Schiffe, die Gerätschaften zur Jagd wie Gewehr und Angel. Unser Künstler sagt selbst, ihn interessiere zunehmend “mehr Wasser, mehr Landschaft, mehr Fläche – weniger Interieur“, also das Naturhaft-Undomestizierte, Tierische, Unbekannte, Unfassbare. Daraus resultieren ja nicht nur einfache Sujets, sondern durchaus auch Ausgeburten eines “Schlafs der Vernunft“ im Goyaschen Sinne. Dabei sind all die Frauen und ihre Körperteile, die wir sehen, noch die liebenswürdigsten Versatzstücke bewusster Vorstellung und unbewusster Wunschvorstellung. Und wieder und wieder begegnen wir in diesen Bildern einem Mann mittleren oder eher jüngeren Alters mit dem erstaunten Blick eines Hans-guck-in-die-Luft, den wir unverkennbar als unseren Künstler identifizieren können, der sich – mit Hilfe seines Alter Egos – als Versuchsperson in merk-würdige, auch prekäre Situationen und Lagen begibt und auch gern in Versuchung führen lässt, handelt es sich um weibliches Personal. Aber die Verwandlungskunst des Udo Scheel gestattet nicht, ihn auf eine bestimmte Rolle festzulegen: Alles bleibt im Bereich der Anspielung, des Flüchtigen, der Verweigerung jedweder Dingfestmachung. Man bleibt vor der leonardesken Mauer, wie ich bei anderer Gelegenheit bereits ausgeführt habe; wir können sie lesen und deuten, aber nicht durchbrechen.

­Dass im Bild “Hege und Pflege“, 2009, das die Galeristin wohl nicht zufällig für diese Ausstellung ausgewählt hat, für jeden Besucher unschwer diese zu erkennen ist, hat Udo Scheel zwar bestritten, dem es angeblich ja nie um Porträthaftigkeit – auch nicht in eigener Sache – geht und gegangen ist. Aber wie man sieht: Die Bilder sind stets klüger und vielschichtiger als ihre Autoren und erst recht als ihre Interpreten; zumindest gilt dies für die qualitätsvollsten Bilder. Dies zu sagen, ist mir wichtig, besonders angesichts der ebenso komplexen wie bildschönen Bildwelt Udo Scheels.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.